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Interview Digitalisierung: „Das Bild ist vielfarbig“

Wolfgang Reinhardt, Principal bei Ventum Consulting, wurde von der Fachzeitschrift IT Director interviewt und erläutert dort, warum die Digitalisierung für die Unternehmen nicht bloß Chance, sondern schiere Notwendigkeit ist. 

ITD: Herr Reinhardt, in den letzten zwei Jahren wurde die Corona-Pandemie zum Haupttreiber der Digitalen Transformation in Deutschland. Wie gut sind die Unternehmen seitdem durch die Krise gekommen?

Wolfgang Reinhardt: Das Bild ist vielfarbig. Bei der Bereitstellung von Infrastruktur für mobiles Arbeiten wurden große Sprünge gemacht, deren Nutzen auch anhalten wird. Gleichwohl haben die zugehörigen Organisationsformen nicht mitgehalten, etwa wenn es darum geht, kreative Prozesse zu ermöglichen oder hybride Konferenzen und Workshops durchzuführen.

ITD: Wie ist aktuell der Status quo, wenn es um den Digitalisierungsstand in deutschen Unternehmen geht? In welchen Bereichen gibt es nach wie vor Schwierigkeiten?

Reinhardt: Die deutschen Marktführer sind auch in der Digitalisierung gut aufgestellt. Quer über alle Branchen werden die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt, um Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Aber auch hier kommt es darauf an, den entscheidenden Schritt voraus zu sein. Das geht über Flexibilisierung und Beschleunigung aller Prozesse und über die tiefergehende Nutzung von Daten. An Künstlicher Intelligenz kommt man dabei oft nicht vorbei, auch wenn sie nicht die Lösung aller Problemstellungen ist. Die Virtualisierung von Entwicklungsprozessen auf der einen und von Kundenerlebnissen auf der anderen Seite sind ebenfalls vielfach ein Muss.

ITD: Laut einer aktuellen Bitkom-Umfrage will 2023 jedes dritte Unternehmen Digitalisierungsinvestitionen zurückfahren. Für wie problematisch halten Sie einen solchen Kurswechsel?

Reinhardt: Gegenüber großen makroökonomischen Herausforderungen kann man sich nicht verschließen. Aber eben auch nicht vor Lieferkettenproblemen und dem Fachkräftemangel. Wer hier zu kurzsichtig agiert, gerät aus dem Takt. Auf der anderen Seite verbessern Unternehmen in kritischen Situationen ihre Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen. Technologie ist eben Enabler. Mit den richtigen Partnerschaften und Smart Buying kann man budgetären Herausforderungen oft gut begegnen.

ITD: Inwiefern bietet die Digitalisierung auch Chancen für die Unternehmen, auf die aktuellen Herausforderungen (bspw. Lieferengpässe, steigende Energiekosten, Fachkräftemangel) zu reagieren und sich besser anzupassen?

Reinhardt: Wir sehen es tatsächlich so, dass nicht “auch Chancen” entstehen, sondern schiere Notwendigkeiten. Hohen Energiekosten kann vielfach nur (noch) durch sehr detaillierte Datenauswertung und leistungsfähige Prädiktion, also durch Rechenmodelle, begegnet werden. Dass dem Fachkräftemangel schließlich nur durch Automatisierung abzuhelfen ist, zeigen alle seriösen soziodemografischen Studien.

ITD: Welchen Beitrag kann die Digitalisierung womöglich auch zur Lösung des Klimawandels leisten? – Stichwort: „Green IT“?

Reinhardt: Green IT meint die Adressierung des IT-eigenen Carbon Footprint, des ökologischen Fußabdrucks. Hier ist eine große Entwicklung im Gang. Einerseits einfach kostengetrieben. Andererseits stehen Unternehmen ihren Kunden, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit gegenüber in der Verantwortung für umweltverträgliches Handeln. Auch dieser Faktor führt zu einer Effizienzsteigerung und zu Grüner IT. Doch die Digitalisierung kann mehr und wird auch weiter herausgefordert, Energie einzusparen.

ITD: Wo liegen für große Unternehmen (z.B. Fertigungsindustrie) IT-seitig die größten Potenziale, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren?

Reinhardt: Unternehmen aus der Fertigungsindustrie und auch aus anderen Branchen fragen sich bereits heute in jedem Produktionsschritt nicht mehr nur, wie lange er dauert und welche Fehlerraten er produziert, sondern auch wie viel Energie er (zu viel) verbraucht. Dies will gemessen, ausgewertet, gesteuert und gemanagt werden. Digitalisiert.

„Die Digitalisierung ist eine spannende Aufgabenstellung und gleichzeitig eine Herausforderung für alle“

ITD: Wie wird sich unsere Arbeitswelt durch die Digitale Transformation verändern? Inwiefern sollten die Unternehmen ihre Mitarbeiter auf diesen Wandel vorbereiten?

Reinhardt: Die notwendigen Veränderungen sind massiv, daher kommen sie auch ebenso druckvoll. Mit Blick auf den Fachkräftemangel heißt das, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter an den Stellen einsetzen wollen, an denen es besonders zwingend ist. Die Automatisierung wird zu einer weiteren Virtualisierung und zu abstrakteren Tätigkeiten im Arbeitsleben führen, was für viele einen großen Schritt bedeutet. Bisherige Organisationsformen halten dem vielfach nicht stand. Neue Kollaborationsformen werden sich entwickeln. Aktuell ist “Reverse Mentoring” ein vielversprechender Ansatz, mit dem jüngere Kollegen älteren helfen, sich mit Neuem vertraut zu machen.

ITD: Was müssen Unternehmen jetzt tun, um bei der Digitalisierung nicht abgehängt zu werden?

Reinhardt: Die Digitalisierung ist eine spannende Aufgabenstellung und gleichzeitig eine Herausforderung für alle. Aber niemand kann in allem gut sein. Leistungsfähige Partnerschaften und ein Netzwerk von innovationsfördernden Liefer- und Leistungsbeziehungen sind die Basis für ein funktionierendes Digitalisierungs-Ökosystem. Unternehmen haben die Aufgabe, gute Entscheidungen für Innovation zu treffen. Dazu gehört das richtige Timing.

ITD: Was wünschen Sie sich von der deutschen Politik, um die Unternehmen aktiv bei Digitalisierungsvorhaben zu unterstützen und Hürden abzubauen?

Reinhardt: Wir sind in Deutschland gut aufgestellt mit der Aufgabenteilung zwischen Wirtschaft und Politik. Die Politik kann unterstützend Genehmigungs- und Verwaltungsakte beschleunigen sowie Standards entrümpeln. Vielfach geht das nicht ohne Digitalisierung. Dabei wurde vieles auf den Weg gebracht, manches will noch beschleunigt werden.

Autor

Wolfgang Reinhardt

ehemaliger Principal bei Ventum Consulting, der für die Themen Digitalisierung, Innovationen und gesellschaftliche und ökologische Verantwortung brennt.

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